In dem Moment, in dem ich um die Ecke bog und die steinernen Grabnischen mit ihren Inschriften sah, wuchs der Kloß in meinem Hals und war schließlich so groß, dass nicht einmal das gewaltvolle Zusammenpressen von Ober- und Unterkiefer die Tränen aufhalten konnte. Die Sonnenbrille verbarg meine Emotionen und ich lenkte mich ab, indem ich die Nische, erst trocken, dann nass, gewissenhaft bis ins hinterste Ecklein säuberte. Tausend Erinnerungen an die sterile Bestattungsanstalt, die verzerrte Mimik der mir so vertrauten Menschen, Brechreiz auslösende Weihrauchschwaden, Erbschaftsstreitereien und jahrelang gehegten Groll schossen mir durch den Kopf; das schlechte Gewissen, sie zuletzt nicht besucht zu haben, die unter den Teppich gekehrte Trauer und das anhaltende Gefühl der Leere, das durch keine Neuanschaffung oder Renovierung des alten Hauses zu füllen war. Entfremdung und Vermeidung waren jahrelang eine gute Strategie gewesen bis letztlich die Kinder eine ganz langsame Annäherung an und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit brachten. Als die Gesellschaft langsam zum Auto zurückkehrte blieb ich zurück, denn ich fühlte, dass ich diese Chance nicht vorbeiziehen lassen durfte. Auf einer Bank neben den verwelkten Überresten eines Blumenschmucks brach endlich alles aus mir heraus – ich hatte gar nicht mehr gewusst wie sich Schluchzen und Weinen anfühlte.
In Niagara Falls All Over Again benutzt Elizabeth McCracken die Metapher der Flutwelle oder Überschwemmung um die Trauer ihres Protagonisten zu beschreiben. Und weil mich ihre Worte so berührt haben, möchte ich diese Passage hier zitieren.
Ah, God. Grief was a flood. I knew that from growing up in Valley Junction, where the Raccoon River jumped its banks once a decade and slunk into town like a convict come back to a favorite crime scene. The floods soaked your basement, the rains that caused the floods came through the shingles of the roof into the attic, the very places you saved things. People sandbagged and waited for the water to go down. Basements were worse. Your beloved belongings floated until they sank. The water eventually dragged down everything you owned, your books, your diaries, your most seaworthy childhood toys. When the water left and your life was back out in the air, your things would be so heavy you couldn’t lift them to throw them away, mildew blooming like black roses already. But before the water receded, everything you loved was somewhere underneath, and if you couldn’t clearly see it all, neither could you see what had been destroyed. While your belongings were submerged, you could walk among them, slowly by necessity. There was no need to clean up. There was no need to salvage some things and burn others and arrange for replacements. You stood in the water, and though once the place dried out you could get to work, you hoped it never would: look, that chair’s sound, that magazine’s legible, that face in the photo album’s only slightly blurred, ready for conversation or kisses. We’re only separated. We still can see. Leave that shipwreck alone.
19 Jahre habe ich gebraucht, um die Fluten aus mir herausbrechen zu lassen! Die aus dem Wasser geborgenen Dinge hatten mir über all diese Jahre hinweg immer wieder den Blick für die schönen Erinnerungen getrübt und zeitweise sogar meine eigene Biographie versenkt. Es wird Zeit, neue Wege zu gehen, Trauer als etwas Reinigendes und Befreiendes zuzulassen und mich meiner Wurzeln zu besinnen, auch wenn es zunächst schmerzhaft erscheint.