Nach drei Monaten gilt es, erneut Fazit zu ziehen. Wer das Experiment von Anfang an verfolgt hat, wird sich an die Muschelgeschichte erinnern. Die Neuausrichtung wurde von den Kindern gut aufgenommen und wir arbeiteten einige Wochen am Muschelprojekt. Wir besorgten Bücher, mit deren Hilfe wir alle gesammelten Exemplare bestimmen konnten. Unsere ersten Fragen (es gibt übrigens Süßwassermuscheln!) lösten Neue aus und wir weiteten unsere Forschungen auf das gesamte Mittelmeer aus. Eine Führung im hiesigen Hafen brachte zusätzliche Einblicke und warf erste Zweifel in Sachen Fischerei auf. Vor 20 Jahren gab es hier 50 Fischerboote. Heute gibt es gerade noch die Hälfte. „Wie lange kann das so weitergehen und werden wir eines Tages das Meer leer gefischt haben?“, fragten sich die Kinder nach der Besichtigung betrübt. Meiner Ansicht nach sind es gerade diese Gespräche und die Zeit, das ‚Warum?’ zuzulassen um vom Hundertsten ins Tausende zu springen, die diese Art des Lernens so fruchtbar machen.
Im Moment wandeln wir auf Asterix’ und Obelix’ Spuren ins alte Rom. Ich kann es nicht lassen und schmuggele hier und da ein wenig Geographie (Schauen wir doch mal auf der Karte wie groß das römische Reich war…), Mathematik (Weißt du, dass die Römer andere Zahlen benutzten?), Sprache (Kommt dir das Wort ‚dulce’ bekannt vor?) ein. Aber meist müssen wir doch Bücher oder das Internet zurate ziehen, denn woher soll ich wissen ob es einen Zenturio namens Gaius Bonus wirklich gab oder wie viele Gladiatoren begnadigt wurden?
Eine grundlegende Frage stellt sich mir allerdings immer wieder: Wie bekomme ich mein Kind dazu, sich auch mit jenen Aufgaben zu beschäftigen, die es nicht mag? Bei meinem Sohn ist es das Lesen. Wie kann ich jemanden für das Lesen von Büchern begeistern, der sich schwer tut, einen Satz zu lesen? Diese Abneigung ist für mich besonders schwer nachvollziehbar, weil ich selbst als 8-jährige oft bis spät in die Nacht unter der Decke mit der Taschenlampe las.
Also habe ich mir folgende Strategien und Motivationstricks ausgedacht:
- „Lass uns mehr über Fischzuchtanlagen herausfinden…!“ Da erlosch die Begeisterung für das Thema durch die daran gebundene Bedingung, sich die Informationen selbst lesend beschaffen zu müssen.
- „Komm, wir recherchieren mal im Internet was da zu den Gladiatoren steht!“ Auch hier ähnliche Ermüdungserscheinungen.
- „Wollen wir Asterix lesen?“. Eine Weile lang lief das sehr gut, da die (Sprechblasen)texte relativ kurz sind und die bildliche Unterstützung gleich mitliefern. Doch bald litt der Lesegenuss unter dem holprigen Lesefluss.
- „Wenn du zwei Seiten liest, dann lese ich dafür heute Abend ein Kapitel mehr vor.“ Das Belohnungslesen war ein Flop. Stattdessen wurde sogar weniger Vorlesezeit in Kauf genommen, wenn man sich dafür den eigenen Lesekrampf ersparte.
An dieser Stelle unterbreche ich die Liste meiner Bemühungen, um meine Schlussfolgerungen aus dieser wichtigen Lektion zu ziehen. Wichtigste Erkenntnis: Jedes Kind ist anders und begeistert sich demnach auch für unterschiedliche Dinge. So öffnen sich die „Fenster“ entsprechend früher oder später (oder gar nie!). Es ist eine Frage der Geduld und des Respekts. Will ich auf Biegen und Brechen etwas vermitteln oder warte ich ab bis die Bereitschaft dafür da ist? Soll ich riskieren, dass er nie gerne liest? Bin ich etwa sogar selbst schuld daran, weil ich abends stundenlang vorlese und somit keine Notwendigkeit besteht, selbst zu lesen? Ich bin vorerst zu dem Schluss gelangt, dass es keinen Grund zur Panik gibt. Er kann lesen. Er liest Wörter, Sätze und kleine Texte. Es ist mühsam und macht ihm keinen Spaß. Dafür denkt er sich gerne Geschichten aus, ist kreativ wenn es darum geht, den Fortgang eines Romans weiterzuspinnen und er kann sich sehr differenziert ausdrücken. Auch wenn es mir schwer fällt, muss ich akzeptieren, dass Lesen nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zählt. Seit ich nicht mehr darauf bestehe, dass „wir“ jeden Tag ein paar Seiten (laut!) lesen, habe ich ihn sogar schon dabei erwischt wie er sich selbst ein Buch schnappt, um ein wenig darin zu lesen wenn gerade kein Vorleser verfügbar ist.
Zweite wichtige Erkenntnis: Ein Projekt zeichnet sich dadurch aus, dass es ergebnisoffen ist. Lehrer haben gerne die Zügel (also die Lösungen) in der Hand, um ihre Schäfchen ins (vom Lehrplan vorgegebene) Trockene zu bringen. Im Moment habe ich gar nichts in der Hand und weiß auf die wenigsten Fragen eine Antwort. Das ist eine neue, gute (!!) Erfahrung und gibt den Kindern auch das Gefühl, dass wir gemeinsam und ernsthaft nach Antworten suchen. Mal sehen wo es uns als nächstes hintreibt…
Liebe Anne,
ja, für uns Leseratten ist es nur schwer vorstellbar, dass das eigene Kind NICHT gerne liest, gell? Wenn ich einen Wunsch frei hätte (bzw. mindestens 75), wäre einer davon, dass ich all die tollen Kinderbücher noch einmal zum 1. Mal lesen könnte! Aber, zu Deiner Beruhigung: Dein Patenkind hat anfangs auch nicht gerne gelesen. Mittlerweile verhandeln wir, wie lange sie abends im Bett noch lesen darf! Im Moment liest sie mit Begeisterung diese Wissensbücher, wo Sachverhalte erklärt werden. Auch das „Guinessbuch der Rekorde“ fand sie superspannend. Vielleicht wär so was was für mein Patenkind? Hoffe, ihr findet noch viele weitere spannende Themen!!!!