Es war einmal eine Lehrerin, die hatte die Nase voll davon, nur Ziffernnoten sprechen zu lassen und so entschied sie, dass ihre Schüler ein paar persönliche, notenunabhängige Worte am Schuljahresende als Rückmeldung verdienten. Was sagte so ein „befriedigend“ im Zeugnis schon darüber aus wie gewitzt, kooperativ, zögerlich, schüchtern, kritisch, neugierig, aufmüpfig oder distanzlos ihr jemand begegnete?
„Noten sind die Währung, in der Schüler ihre Anstrengungen honoriert bekommen.“, so die weisen Worte meines Ausbilders, Vorbildes und Freundes. Aber es war auch er, der mich dazu inspirierte, die farbigen Zettel einzuführen. Auf diesen konnte ich all das loswerden, was die Währung vernachlässigte: Eigenschaften, die ich besonders schätzte, eine gemeinsame Erinnerung an eine Sternstunde oder einen besonderen Moment, mögliche künftige Herausforderungen und manchmal sogar meine persönliche Einschätzung von Entwicklungsfeldern. Die Atmosphäre und das Miteinander bekam dadurch eine ganz neue Qualität, weil die Empfänger der farbigen Zettel sich beachtet (und geachtet!) sahen. Die meisten waren dankbar dafür, obwohl der Inhalt nicht immer nur schmackhaft war. Ich behielt dieses System bei und fuhr sehr gut damit bis mir 2013 die Mutter eines Schülers, der im Zeugnis eine fünf von mir erhielt, sagte ich könne mir die bunten Zettelchen sparen und mir wünschte ich würde, wenn eines meiner Kinder mal in der neunten Klasse wäre, das gleiche Übel durchleben, da ich ja offensichtlich an der Nicht-Versetzung schuld sei. Das Ganze ereignete sich zu einem Zeitpunkt in meinem Lehrerleben als Überarbeitung und Erschöpfung ihren Tribut forderten und ich sowieso am Anschlag war. Die Ausgabe farbiger Zettel stellte ich im darauffolgenden Schuljahr ein und mit ihr Teil der Motivation und Begeisterung für meinen Beruf.
Viele meiner Kollegen haben Situationen erlebt, in denen sie unberechtigterweise von Eltern, Schülern oder anderen Kollegen angegriffen wurden. Solche Erlebnisse hinterlassen Spuren, die tiefer und einprägsamer sind als die vielen guten Erfahrungen, die uns im Schulalltag widerfahren. Als Konsequenz gehen sie einen der drei Wege:
- Sie machen weiter wie gehabt, geben alles um sich selbst und anderen zu beweisen, dass sie zu Unrecht angegriffen wurden. Sie brauchen all ihre Ressourcen für berufliche Zwecke auf, bis sie schließlich krank werden. Erschöpfung beherrscht sie.
- Sie errichten eine Mauer um sich und lassen keinen mehr an sich heran. Ihr Unterricht verliert an Authentizität und Lebendigkeit, denn sie möchten sich vor weiteren unangenehmen Erfahrungen schützen. Angst beherrscht sie.
- Sie machen „Dienst nach Vorschrift“, das heißt ihr Job wird zur reinen Pflichterfüllung und sie konzentrieren ihre Energie auf Personen und Aktivitäten außerhalb der Schule. Gleichgültigkeit beherrscht sie.
Ich spreche aus Erfahrung wenn ich sage, dass es oft eine Mischung aus allen drei Wegen ist, für die man sich entscheidet bzw. dass eine Phase der Angst sehr schnell von einer Phase der Erschöpfung abgelöst werden kann, die irgendwann in Gleichgültigkeit mündet.
Will man jedoch seinen Beruf mit der nötigen Begeisterung ausüben, so bedarf es anderer Wege. Einer davon ist vielleicht der, den ich gerade gehe. Raus aus dem Alltag und den Verpflichtungen, um sich mal wieder auf das Wesentliche und sich selbst zu besinnen. Ist dies so radikal nicht möglich, muss man sich im Alltag immer wieder kleine Inseln der Erholung schaffen wie zum Beispiel durch Yoga oder andere Achtsamkeitsübungen.
Am wichtigsten scheint mir persönlich die Einstellung zur Arbeit zu sein. Liegt mein Fokus nur auf dem Countdown bis zu den nächsten Ferien oder auf den unangenehmen Erlebnissen in der Vergangenheit, so verpasse ich womöglich die schönen Momente im Hier und Jetzt und davon gibt es –wenn man genau hinschaut– viele. Ich bin weit davon entfernt, dies konsequent umzusetzen, aber ich versuche, es mir immer wieder bewusst zu machen. In manchen Fällen wird es einem auch ganz leicht gemacht, sodass man sogar erfrischt aus dem Unterricht herauskommt. Eine solche Erfahrung durfte ich bis vor Kurzem machen und dieser Kurs erhielt dann beim Abschied auch wieder farbige Zettel.