Zwischen den Welten

Mehrsprachigkeit als Chance?

Seit einer Woche bin ich nun in Katalonien, meiner zweiten Heimat, und so ganz langsam komme ich an. Nicht nur klimatisch ist es eine Umstellung, auch mental durchlebe ich gerade eine wilde Berg-und-Tal-Bahn-Fahrt. Ich kenne hier alles von Kindesbeinen an und doch bin ich „la Alemana“, die Deutsche.

In meinem „Rucksack“ steckt allerdings noch etwas mehr. Meine Eltern entschieden, mich zweisprachig mit Kastilisch (=Spanisch) und Deutsch zu erziehen, da Spanisch nun einmal eine Weltsprache ist und die Beherrschung dieser Sprache ihrer Meinung nach nützlicher schien als Katalanisch (sie hatten damit übrigens recht!). Zu jener Zeit war Franco, der langjährige Diktator Spaniens, gerade verstorben und Kastilisch ohnehin die alles dominierende Nationalsprache Spaniens. Katalanisch (ebenso wie die anderen historischen Regionalsprachen Galizisch und Baskisch) war bis dahin unter Androhung von Gefängnisstrafe verboten. Hinter verschlossenen Türen lebte man die katalanische Kultur dennoch aus.

Im Laufe der darauffolgenden Jahre, der sogenannten normaliztació, musste meine Mutter sich immer häufiger rechtfertigen („Warum sprichst du mit deinen Kindern die Sprache des Feindes?“) zumal seitens ihrer Familie ein zunehmend katalanistischer Wind wehte. Ich hätte sicher irgendwann den Schalter umlegen können, denn Katalanisch verstand ich einwandfrei – schließlich sprach es ja dort jeder mit mir. Teils aus Sturheit, teils aus Scham oder Angst vor Fehlern blieb ich dem Kastilischen treu. Mittlerweile haben die Katalanen so viel an nationaler Identität zurück gewonnen, dass die Diskriminierung ins Gegenteil umschlägt. Vor allem seit den Unabhängigkeitsbestrebungen herrscht hier überwiegend eine Null-Toleranz gegenüber Unangepassten, das heißt nicht-katalanisch Sprechenden.

Und meine deutsche Identität? Die ist sicher am stärksten ausgeprägt. Ich bin dort geboren, zur Schule gegangen, unterrichte an einem deutschen Gymnasium und bin auf den ersten Blick nicht als „Mischling“ erkennbar. Dennoch fühle ich selbst mich nicht vollkommen deutsch. So herrscht, kulturell gesehen, ein kastilisch-katalanisch-deutscher Mischmasch in meinem Kopf, der mich und meine Identität ausmacht.

Positiv betrachtet erleichtert mir mein Hintergrund sicher, auf Menschen zuzugehen, mich auf neue (fremde) Erfahrungen einzulassen und empathisch auf interkulturelle Schwierigkeiten zu reagieren. Fremdsprachen erlernte ich mit Leichtigkeit und, obwohl ich eher zurückhaltend war, nahm ich als Jugendliche mit Freude an Schüleraustauschen im Ausland teil.

An meiner Schule fällt mir gelegentlich auf, dass gerade jene Schüler mit Migrationshintergrund erstaunlich offen für andere Kulturen sind und sich leichter auf eine neue Sprache einlassen. In der letzten fünften Klasse, die ich in Englisch unterrichten durfte, waren 14 verschiedene Nationen vertreten und zu meinen besten Schülern zählten Anoosha, Vasiliki und Enes. Wie unschwer zu erkennen alle mit Migrationshintergrund J. Sicher hängt dies mit vielerlei Faktoren zusammen, die zu erforschen sich lohnen würde.

Jedes Kind bringt seine eigene Bildungsbiographie mit ins Klassenzimmer. So haben beispielsweise jene Schüler, deren Eltern nach Deutschland kamen um eine bessere Perspektive zu haben, ein geschärftes Verständnis für die Bedeutung des Lernens und verstehen den (gymnasialen) Schulbesuch als Privileg.

Menschen mit Migrationshintergrund können für uns ein wunderbarer Spiegel dafür sein, wie Deutschland und die Deutschen auf andere wirken. Das Hinterfragen und Ausdiskutieren von Stereotypen lässt echte interkulturelle Kompetenz entstehen.

Studien zum Erstspracherwerb und Bilingualismus geben ebenfalls Aufschluss darüber wie Sprachenlernen natürlich funktioniert und die Erkenntnisse darüber haben in den letzten Jahrzehnten verstärkt Einzug in die Fremdsprachendidaktik erhalten. Gerade angesichts der aktuellen Zuwanderungsströme wird dies in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen und wir (Sprach)-Lehrer sollten die Heterogenität als Chance verstehen!

Zurück nach Katalonien: Neben der zahlreichen persönlichen Dinge, die mich hier umtreiben, bin ich vor allem mit neugierigem Lehrerherzen unterwegs und versuche, es nicht allzu persönlich zu nehmen wenn mich mal wieder jemand schräg ansieht, weil ich kein català spreche. Jede Bemühung, die hiesigen Gepflogenheiten zu verstehen öffnet Türen. Sind wir nicht alle Erdenbürger?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert