Dies ist der Beitrag, vor dem ich mich am längsten gedrückt habe. Das hängt wohl damit zusammen, dass ich mich nicht an das ohnmächtige Gefühl erinnern möchte, die Kontrolle über mein Leben zu verlieren. Dennoch ist die Zeit jetzt reif, mich diesen Ängsten zu stellen.
Vor zwei Jahren war ich am absoluten Tiefpunkt meines Lebens angelangt – ich hatte starke Depressionen und war auf dem besten Wege auszubrennen. Bis dahin war es ein schleichender Prozess gewesen. Zunächst reichten die Wochenenden noch aus, um die Batterien aufzuladen. Lustlosigkeit, Müdigkeit und Krankheiten überstand ich mit Hilfe von Urlauben, Neuanschaffungen (Ablenkungen) und Schlaf. Durch die Geburt der Kinder erhöhten sich die Anforderungen und ein Rückzug war erst einmal nicht möglich. Mein (teilweise) ungesunder Perfektionismus und ungünstige Rahmenbedingungen an der Schule trugen ihren Teil dazu bei, dass die Wochenenden zum Auftanken nicht mehr genügten. Zuletzt brauchte ich sogar in den Ferien bis zu zwei Wochen, um einigermaßen runter- und bei mir anzukommen. Die meiste Zeit funktionierte ich nur, sodass meine Handlungen oft unbewusst vonstatten gingen und von achtsamem Gewahrsein jedes Augenblicks überhaupt keine Rede sein konnte. Ich war in meiner Dunstglocke gefangen, hinter der ich völlig erschöpft und dumpf außer Stande war zu fühlen und zu begreifen, dass das Leben an mir vorüberzog; mit ihm die schönsten Jahre meiner Kinder. Das Gefühl, dass nichts mehr Sinn ergibt und ich als Mutter und Lehrerin versagte, baute sich immer stärker auf und zog mich tiefer und tiefer in den Sog der Depression.
Im Beruf konnte ich meine Aufgaben zwar erledigen, aber mit viel weniger Leidenschaft und Motivation. Viele Lehrer/ Berufstätige kennen diese Zerrissenheit, vor allem wenn sie Eltern kleiner Kinder sind. An der Schule erschweren Noten- und Leistungsdruck, Konferenzen, organisatorische Aufgaben, ungünstige Stundenpläne, vollgepackte Lehrpläne und zu große Klassen den Lehrern die Arbeit. Auch eine zunehmend konsumorientierte Haltung einiger Eltern und Schüler, in deren Augen der Lehrer zum bloßen Dienstleister zum Erreichen des Klassenziels wird, zählt zu den Windrädern, gegen die Lehrer im Alltag ankämpfen. Zunehmend müssen auch Schüler wegen Erschöpfungszuständen, Panikattacken, Reizdarmsyndrom und Depressionen behandelt werden.
Immer mehr kristallisieren sich für mich beim Schreiben dieses Blogs meine Kernfragen heraus: Wie schaffen wir es, das Rentenalter (bzw. Schüler den Schulabschluss) zu erreichen, ohne unsere Gesundheit und Klarheit (das englische Wort ‚serenity’ beschreibt das sehr gut) zu riskieren? Und wie kann ich das Berufsleben mit meinem Familienleben vereinbaren, ohne beim bloßen Versuch auszubrennen?
Die folgenden fünf Vorbeugungsmaßnahmen scheinen meiner Ansicht nach hilfreich:
- Supervision: Ich wünsche mir mehr Austausch über Herausforderungen unter Kollegen und Hilfestellung von Profis. Unter Beratungslehrern und im Förderschulbereich gibt es regelmäßig Supervisionstermine. Dies sollte man für Lehrer aller Schularten einführen.
- Schulklima: Spätestens seit Gerald Hüther wissen wir, dass Lernen durch eine gute Atmosphäre und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit sowie das In-Beziehung-Gehen mit allen Beteiligten begünstigt wird.
- Entspannung: Ständige Anspannung und Dauerstress führen zu Verspannungen, Krankheit, Depressionen und in letzter Instanz zum Tod. Von daher sollte es ein Hauptanliegen von Schule sein, für Möglichkeiten der Entspannung zu sorgen. Yoga, autogenes Training, MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction) sind nur drei Beispiele dafür.
- Auszeit: Schulen und viele Firmen bieten ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, ein Sabbatical zu nehmen. Mütter und Väter können in Deutschland bis zu drei Jahre Elternzeit pro Kind nehmen. Schon wenige Monate fernab vom Alltag können die Perspektive und Einstellung zum Berufsleben verändern.
- Professionelle Hilfe: Manchmal ist die Hilfe von Psychologen, Coaches oder alternativen Heilmethoden nötig, um wieder zu sich selbst und den eigenen Bedürfnissen zu finden.
Wie habe ich die schlimmste Phase meines Lebens überstanden und was hat mich die Depression gelehrt? Nachdem ich den Ernst der Lage begriffen und den Entschluss gefasst hatte, etwas an meiner Situation ändern zu wollen, ging es leichter als gedacht. Ich war nicht allein und wurde von meiner Familie, Freunden und professionell darin unterstützt, mich selbst mit meinen Stärken und Schwächen anzunehmen. Eine wichtige Einsicht war, dass ich nur begrenzte Kapazitäten besitze und mir meine Kräfte sinnvoll einteilen muss. Ich begann eine zweijährige Yogalehrerausbildung und wurde gezwungen, in mich hineinzuschauen, erbarmungslos und schmerzhaft ehrlich. Die beste Entscheidung war sicherlich die, eine Auszeit zu nehmen: Raus aus dem Hamsterrad und herausfinden warum mir vom vielen Kreisen ganz schwindelig wird. Dieses genaue Hinschauen und Hineinhorchen ist nicht immer einfach und bringt auch die Schattenseiten zum Vorschein. Doch nur über die Auseinandersetzung mit mir selbst konnte ich die Angst vor Rückschlägen erkennen und mich ein klein wenig mit der Depression anfreunden. Wir selbst sind dafür verantwortlich, unsere Flamme vor dem Ausgehen zu schützen. Nur wenn ich vor Begeisterung brenne, kann ich den Funken überspringen lassen.