Wenn man sich eine Auszeit nimmt und schulpflichtige Kinder hat, dann hat das Konsequenzen. Mein Fazit nach zwei Wochen: Ich habe erfolgreich meiner Kinder Lust am Lernen zerstört. Am ersten Tag nach unserer Ankunft waren mein Sohn, 8 Jahre alt, und meine Tochter, 5 Jahre alt, geradezu versessen darauf, sich von Mama unterrichten zu lassen. Und jetzt…?
Ich hatte mir im Vorfeld natürlich Gedanken gemacht wie ich als Gymnasiallehrerin die montessorische Beschulung fortsetzen wollte. Wochenlang hatte ich Buch darüber geführt, welche Fragen meine Kinder beschäftigten: Wie brüten Eidechsen ihre Eier aus? Warum ist in Syrien Krieg? Wieso hat Dalí so verrückte Dinge gemalt?… Haufenweise Bücher, Nachschlagewerke und Bastelmaterialien hatte ich zum Mitnehmen bereitgestellt.
Die ersten Tage lief unser „Unterricht“ so ab, dass wir uns zu Beginn überlegten welche Aufgabenfelder wir bearbeiten wollten und diese in das sogenannte Pensenheft der Schule eintrugen. Die neue Lernsituation und –umgebung hielten uns zunächst bei der Stange. Und dann geschah etwas mir zunächst Unerklärliches: In zunehmendem Maße lief unser anfangs sehr offener und freier Lernprozess auf ein 1:1 Ping-Pong Spiel mit ‚Ich gebe dir eine Aufgabe’ und ‚Du löst sie’ hinaus. Gleichermaßen nahm die Unlust und Frustration auf beiden Seiten zu. Letzten Freitag gipfelte dann unser Experiment in totaler Abwehr. Freundinnen hatten mir von den Überredungskünsten und Machtkämpfen berichtet, die sie beim Erledigen der Hausaufgaben durch ihre Kinder erlebt hatten und ich war damals so froh, dass dies meinen Kindern erspart bleiben sollte! Und jetzt sagte mein Sohn „Ich hab’ doch schon so viel geschrieben. Nur noch dieser eine Satz und dann schreib’ ich nie wieder!“
Zum Glück war Wochenende und ich konnte in mich gehen – so konnte und sollte es auf gar keinen Fall weitergehen.
Hilf mir, es selbst zu tun. Zeig mir, wie es geht. Tu es nicht für mich. Ich kann und will es allein tun. Hab Geduld, meine Wege zu begreifen. Sie sind vielleicht länger. Vielleicht brauche ich mehr Zeit, weil ich mehrere Versuche machen will. Mute mir auch Fehler zu, denn aus ihnen kann ich lernen.
Diese Worte Maria Montessoris brachten mich wieder auf den richtigen Weg. Zwei Jahre zuvor hatte ich erfolgreich eine Montessori-Ausbildung abgeschlossen, die nicht nur die Entscheidung gegen die Dorf-Grundschule für meine Kinder zur Folge hatte, sondern auch ganz viele inspirierende Einblicke und Ideen zur Differenzierung im eigenen Unterricht bewirkte. In den vorangegangenen Tagen hatte ich dies nicht beherzigt, sondern vielmehr vorgegeben was zu tun war. Ich stellte mir nun die Frage wofür sich meine Kinder gerade begeisterten und die Antwort lag –im wahrsten Sinne des Wortes – auf der Hand: Muscheln, die die Kinder mit Eifer am Strand gesammelt hatten, dienten mir gerade als Handschmeichler um meine Gedanken zu sortieren. Und direkt vor mir auf dem Couchtisch lagen die Bücher, die sich die Kinder zwei Tage zuvor in der Bibliothek ausgeliehen hatten: Der menschliche Körper (meine Tochter spricht seit der Schwangerschaft ihrer Tante von nichts anderem), ein Bilderatlas der Welt im Mittelalter und ein Bildband über die Entdeckungen eines französischen Meerforschers und Ägyptologen in Alexandria. Warum hatte ich das ignoriert bzw. übersehen? In meinem Wahn, alles richtig machen zu wollen, gepaart mit der Angst, irgendetwas zu versäumen, war ich völlig blind in die falsche Richtung gesteuert. Ich nahm mir vor, die Dinge laufen zu lassen und so geschah an diesem Abend etwas Wundersames. Die Kinder wollten nicht schlafen gehen und fingen stattdessen an, ihre Muschelsammlung (die zwischenzeitlich große Ausmaße angenommen hat) auf ihren Betten auszubreiten und zu untersuchen. Ich ließ es geschehen, auch wenn ich mehr als einmal zuckte als ich auf die Uhr sah und mir vorstellte, in einem Bett voller Sand schlafen zu müssen. 🙂 Nach einer Stunde emsigen Treibens (kein Vergleich zu dem Gezeter und Verhandeln zuvor) wurde verkündet, dass das Muschelmuseum nun eröffnet und für Besucher freigegeben sei. Das Nachttischchen diente als Eintrittsschalter und Museumsshop. Dort lagen besonders schöne Exemplare bereit, die käuflich erworben werden konnten (fein säuberlich geschriebene Schilder wiesen darauf hin). Auf den Betten lagen unzählige Muscheln nach Art, Farbe und Größe sortiert und der Muschelexperte führte durch die Ausstellung während seine Assistentin kassierte. Im Zwiegespräch ergaben sich folgende (für uns alle ergebnisoffene) Fragen:
- Wie ernähren sich Muscheln?
- Was sind natürliche Feinde von Muscheln?
- Warum haben einige Muscheln an der Außenseite Widerhaken?
- Wie heißen die unterschiedlichen Arten?
- Können Muscheln im Süßwasser überleben?
Und noch mehr brennende Fragen, die auf Beantwortung warten. Trotz fortgeschrittener Stunde hatten wir mit 100%iger Aufmerksamkeit zwei Stunden lang spannende Fragen erörtert, gerechnet (Eintritt und Muschelverkauf), geschrieben (Schilder und Fragen) und Pläne für ein Muschelprojekt geschmiedet.
Es ist erstaunlich was passiert wenn man sich von Vorgaben und Ängsten löst. Man muss nicht auf allen Gebieten Experte sein! Ich bin gespannt wie es weitergeht und werde berichten.